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Arbeitsbedingte Herzkrankheiten

Problemstellung

Herz-Kreislauf-Krankheiten sind bei uns die wichtigste Todesursache - jede/r zweite stirbt daran. Wichtigste Einzelerkrankungen dieser Gruppe sind Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall.
Herzinfarkt ist keine "Manager-", eher eine "Arbeiterkrankheit". Arbeiter sind mehr Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz ausgesetzt als Angestellte und weisen mehr "Risikofaktoren" auf. Obwohl in der BRD Daten zum Zusammenhang von Beruf und Krankheit/Tod weitgehend fehlen, ist bekannt, daß sich die Infarkt-Häufigkeit verschiedener Berufe unterscheidet (Friczewski et al 1987, Helmert 1985, Maschewsky/Schneider 1982).
Die medizinische Analyse von Herz-Kreislauf-Krankheiten vernachlässigt fast völlig chemische Schadfaktoren, anders als etwa bei Krebs. Z.B. wird Herzinfarkt erklärt durch Arteriosklerose der Herzkranzgefäße, "Risikofaktoren" (Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck, etc.) und Streß. Die medizinischen Erklärungsmodelle können recht komplex werden; ein Übersichtsartikel (Hopkins/Williams 1981) nennt 246 vermutete Risikofaktoren. Arbeitsstoffe bleiben trotzdem praktisch unberücksichtigt (Maschewsky 1992):

Wirkmechanismen

Bei der Darstellung toxischer Wirkungen auf Herz und Kreislauf sind Unterscheidungen notwendig:

Funktionelle Veränderungen am Herzen gelten meist als unproblematisch, da reversibel. Aber funktionelle Störungen können in Abhängigkeit von Intensität und Dauer zu morphologischen Veränderungen führen. Folgende Wirkmechanismen herz-kreislauf-schädigender Arbeitsstoffe werden meist genannt (Balazs 1981, Weber 2ooo, Wilcosky/Tyroler 1983):

Relevante Schadstoffe

Folgende Arbeits- und Umweltstoffe gelten als - vom Prinzip her, aber natürlich immer abhängig von Dosis und Dauer der Einwirkung - schädlich für Herz und Kreislauf (Horowitz et al 1985, Kristensen 1989):

Kohlenmonoxid Reizgase
Schwefelwasserstoff Schwefelkohlenstoff
Trichlorethylen Toluol, Xylole
Fluorkarbone Tetrachlorkohlenstoff
N-Butyl-Isocyanat Stickoxide
Pestizide Nitratester
Vinylchlorid Polychlorierte Biphenyle
Kalziumzyanamid Tetrachlordibenzo-p-dioxin
Blei, Quecksilber, Kadmium,
Vanadium, Arsen, Kobalt, Nickel

Expositionsabschätzung

Es ist schwierig, Qualität, Umfang und Dauer der Exposition gegenüber herz-kreislauf-schädigenden Arbeitsstoffen abzuschätzen. Die Schwierigkeit erhöht sich bei kombinierter und kumulierter Exposition. Zwei Extremfälle sind zu unterscheiden (Maschewsky 1992):

Fall-1 viele Personen sind exponiert, auf niedrigem Niveau, für kurze Zeit, bei geringer Toxizität der Stoffe; typisch für toxische Risiken durch Umwelt und Nahrung

Fall-2 wenige Personen sind exponiert, auf hohem Niveau, für lange Zeit, bei hoher Toxizität der Stoffe; typisch für toxische Risiken am Arbeitsplatz.

Fehlklassifikation

Kardiovaskulär-toxische Wirkungen werden wahrscheinlich oft unterschätzt und fehldiagnostiziert:

Risikobewertung

Da kardiovaskuläre Toxizität im "toten Winkel" der Herzforschung liegt, ist der verborgene Anteil entsprechender Arbeitsstoffe an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und -Sterbefällen schwer abzuschätzen. Aber die hohe Zahl von Todesfällen durch diese Krankheiten würde auch bei einem schwachen Effekt von Arbeitsstoffen darauf Prävention sinnvoll machen.
Nach einer Übersicht über epidemiologische Studien ist ein Zusammenhang von Arbeitsstoffen und Herz-Kreislauf-Krankheiten bisher folgendermaßen gesichert (Olsen/Kristensen 1991)

sehr sicher

Schwefelkohlenstoff, Nitroglyzerin, Nitroglykol

ziemlich sicher

Blei, Passivrauchen

möglich

Kobalt, Arsen, Verbrennungsprodukte

denkbar

Organophosphor-Verbindungen, Dinitrotoluol, Antimon, Beryllium, Kohlenmonoxid (aber tödlich bei hoher Exposition)

unwahrscheinlich

Kadmium, organische Lösemittel (aber manchmal tödlich bei hoher Exposition)

Offensichtlich fehlen in dieser Zusammenstellung einige Arbeitsstoffe mit bekannten Wirkungen auf Herz und Kreislauf, wie z.B. Pestizide, Ozon und Reizgase. Weiterhin fehlt die Berücksichtigung sehr empfindlicher Personen, von sehr hohen und Mischexpositionen. Andere Übersichtsarbeiten weisen einzelnen Arbeitsstoffen eine wesentlich höhere Gefährdung des Herz-Kreislauf-Systems zu, v.a. Kohlenmonoxid, Kadmium, und organischen Lösemitteln (Benowitz 1992, Goldhaber 1983, Kurppa et al 1984).
Es gibt hier offensichtlich großen Forschungsbedarf. So ist unbekannt

Arbeitsmediziner nehmen meist an, daß kardiovaskulär-toxische Wirkungen schwach seien, verglichen z.B. mit krebserzeugenden, nerven- und immun-schädigenden Wirkungen - daher tendenziell irrelevant. Bei multifaktorieller Krankheitsentstehung sind aber auch schwache Wirkungen zu berücksichtigen (Maschewsky 1992):

Viele kardiovaskulär-toxische Arbeitsstoffe schädigen den Körper noch auf andere Art; z.B. bestimmte Lösemittel durch krebserzeugende und nervenschädigende Wirkung. Daher wäre auch bei nicht abschließend gesicherter Herz-Kreislauf-Schädlichkeit Prävention bezüglich dieser Arbeitsstoffe oft sinnvoll.

Literatur

Balazs T hg, Cardiac toxicology (I-III). CRC Press, Boca Raton (Florida), 1981
Benowitz NL, Cardiotoxicity in the workplace. Occupational Medicine: State of the Art Reviews, 7, 1992, 465-478
Friczewski F, Maschewsky W, Naschold F et al, Herz-Kreislaufkrankheiten und industrielle Arbeitsplätze. Campus, Frankfurt/M., 1987
Goldhaber S, Cardiovascular effects of potential occupational hazards. Journal of the American College of Cardiology, 2, 1983, 123-132
Helmert U, Epidemiologische und soziologische Befunde zur Prävention von koronaren Herzkrankheiten. Dissertation, Bremen, 1985
Hopkins P, Williams R, A survey of 246 suggested coronary risk factors. Atherosclerosis, 4o, 1981, 1-52
Horowitz F et al, Cardiotoxic effects of chemicals. Mount Sinai School of Medicine, 52, 1985, 65o-655
Kristensen T, Cardiovascular diseases and the work environment: a critical review of the literature on chemical factors. Scandinavian Journal of Work, Environment, and Health, 15, 1989, 245-264
Kurppa K et al, Chemical exposures at work and cardiovascular morbidity. Scandinavian Journal of Work, Environment, and Health, 1o, 1984, 381-388
Maschewsky W, Schneider U, Soziale Ursachen des Herzinfarkts. Campus, Frankfurt/M., 1982
Maschewsky W, Arbeitsstoffe und Herz-Kreislaufkrankheiten. Erich Schmidt Verlag, Berlin, 1992
Olsen O, Kristensen T, Impact of work environment on cardiovascular disea-ses in Denmark. Journal of Epidemiology and Community Health, 45, 1991, 4-1o
Weber T, Umwelt und Herz. Zeitschrift für Umweltmedizin, 5, 2ooo, 286-293
Wilcosky TC, Tyroler HA, Mortality from heart disease among workers ex-posed to solvents. Journal of Occupational Medicine, 25, 1983, 879-885