Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Arbeitsstoffe



Problemstellung

Herz-Kreislauf-Krankheiten sind bei uns die wichtigste Todesursache - etwa jede/r Zweite stirbt daran. Wichtigste Einzelerkrankungen dieser Gruppe sind Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall.

Die medizinische Analyse von Herz-Kreislauf-Krankheiten vernachlässigt fast völlig chemische Schadfaktoren, anders als etwa bei Krebs. Z.B. wird Herzinfarkt erklärt durch Arteriosklerose der Herzkranzgefäße, "Risikofaktoren" (Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck, etc.) und Streß. Medizinische Erklärungsmodelle können dabei recht komplex werden; ein Übersichtsartikel nennt z.B. 246 vermutete Risikofaktoren. Arbeitsstoffe bleiben aber praktisch unberücksichtigt:


Wirkmechanismen

Bei der Darstellung toxischer Wirkungen auf Herz und Kreislauf sind Unterscheidungen notwendig:


Funktionelle Veränderungen am Herzen gelten meist als unproblematisch, da reversibel. Doch funktionelle Störungen führen in Abhängigkeit von Intensität und Dauer oft zu morphologischen Veränderungen. Folgende Wirkmechanismen herz- oder kreislauf-schädigender Arbeitsstoffe werden meist genannt:


Relevante Schadstoffe

Mindestens folgende Arbeits- und/oder Umweltstoffe gelten als - vom Prinzip her; immer abhängig von Dosis und Dauer der Einwirkung - kardiovaskulär toxisch (schädlich für Herz und Kreislauf):

Kohlenmonoxid, Stickoxide, Reizgase, Schwefelwasserstoff, Schwefelkohlenstoff, Toluol, Xylole, Trichlorethylen, Tetrachlorkohlenstoff, Fluorkarbone, N-Butyl-Isocyanat, Pestizide, Nitratester, Vinylchlorid, Polychlorierte Biphenyle, Kalziumzyanamid, Tetrachlordibenzo-p-dioxin, Blei, Quecksilber, Kadmium, Vanadium, Arsen, Kobalt und Nickel.


Expositionsabschätzung

Es ist meist schwierig, Qualität, Umfang und Dauer der Exposition gegenüber herz-kreislauf-schädigenden Arbeitsstoffen abzuschätzen. Die Schwierigkeit erhöht sich bei kombinierter und kumulierter Exposition. Zwei Extremfälle sind zu unterscheiden:


Fehlklassifikation

Kardiovaskulär-toxische Wirkungen werden wahrscheinlich oft unterschätzt und fehldiagnostiziert:


Risikobewertung

Da kardiovaskuläre Toxizität in einer Art "totem Winkel" der Herzforschung liegt, ist ihr Anteil an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und -Todesfällen schwer abzuschätzen. Aber die hohe Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen würde auch bei einem nur schwachen Effekt von Arbeitsstoffen eine Prävention sinnvoll machen.

Nach einer Übersicht über epidemiologische Studien (Olsen/Kristensen) ist bisher folgender Zusammenhang von Arbeitsstoffen und Herz-Kreislauf-Krankheiten gesichert:

sehr sicher Schwefelkohlenstoff, Nitroglyzerin, Nitroglykol
ziemlich sicher Blei, Passivrauchen
möglich Kobalt, Arsen, Verbrennungsprodukte
denkbar Organphosphor-Verbindungen, Dinitroluol, Antimon, Beryllium, Kohlenmonoxid (tödlich bei hoher Exposition)
unwahrscheinlich Kadmium, organische Lösemittel (aber manchmal tödlich bei hoher Exposition).

Offensichtlich fehlen hier einige Arbeits- oder Umweltstoffe mit bekannter Wirkung auf Herz und Kreislauf, wie z.B. Pestizide, Ozon und Reizgase. Weiterhin fehlt die Berücksichtigung von sehr hohen und Mischexpositionen. Andere Übersichtsarbeiten (z.B. Kurppa) weisen einzelnen Arbeitsstoffen ein wesentlich höheres Risiko fürs Herz-Kreislauf-System zu, vor allem Kohlenmonoxid, Kadmium, und organischen Lösemitteln.

Es gibt hier offensichtlich großen Forschungsbedarf. So ist unbekannt, wie stark die Herzkreislauf-Wirkungen von Arbeitsstoffen sind; welche Personengruppen exponiert sind; wie die Betroffenen richtig diagnostiziert werden können; und wie hoch das Risiko insgesamt einzuschätzen ist. Arbeitsmediziner nehmen meist an, daß kardiovaskulär-toxische Wirkungen schwach seien, verglichen z.B. mit haut- oder leber-schädigenden Wirkungen. Bei multifaktorieller Krankheitsentstehung sind aber auch schwache Wirkungen zu berücksichtigen:

Viele kardiovaskulär-toxische Arbeitsstoffe schädigen zugleich auch andere Organsysteme; etwa bestimmte Lösemittel mit ihrer Wirkung auf Leber oder Nerven. Daher wäre auch bei schwacher (oder ungesicherter) Herz-Kreislauf-Schädlichkeit eine Prävention bezüglich solcher Arbeitsstoffe oft sinnvoll.


Literatur



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